Mein Gott – Pontius Pilatus macht kurzen Prozess mit Jesus

Die wichtigsten Quellen für das Leben Jesu sind bekanntlich die zwischen 65 und 100 n. Chr. verfassten Evangelien des Neuen Testaments, die sich auf mündliche Überlieferungen stützen. Danach wurde Jesus 4 v. Chr., vielleicht auch etwas früher, vermutlich im galiläischen Nazareth in Palästina geboren. Er gehörte als Zimmermann zur Unterschicht. Mit etwa 30 Jahren wurde er von dem Bußprediger Johannes im Jordan getauft und zog danach als prophetischer Wanderlehrer durch Galiläa. Die Zeit seines öffentlich bekannt gewordenen Handelns soll nicht mehr als 2 – 3 Jahre gedauert haben und endete mit seiner Kreuzigung vermutlich im Jahre 30 n. Chr. Der kurze Prozess, der seinem Tod vorausging, erwies sich als einer der folgenreichsten Prozesse der Weltgeschichte.Über Jahrhunderte hinweg hat das Christentum unter Berufung auf die Evangelien das jüdische Volk für den Tod Jesu verantwortlich gemacht und seinen Richter, den römischen Präfekten Judäas, Pontius Pilatus, versucht zu entlasten. Am deutlichsten zeigt sich das in einer Szene aus dem Matthäus-Evangelium, der einen Dialog zwischen Pilatus und einer mordlustigen jüdischen Volksmenge beschreibt:

“Pilatus spricht zu ihnen: `Was soll ich denn mit Jesus tun, der Messias genannt wir?` Sie sagen alle: `Er werde gekreuzigt!´ Er aber sagte:´Was hat er denn Böses getan?´ Sie aber schrien übermäßig und sagten: ´Er werde gekreuzigt!´ Aber als Pilatus sah, dass er nichts ausrichtete, sondern vielmehr ein Tumult entstand, nahm er Wasser, wusch seine Hände vor der Volksmenge und sprach: ´Ich bin schuldlos an dem Blut dieses Gerechten. Seht ihr zu!´ Und das ganze Volk antwortete und sprach: ´Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!´

Wie tief sich diese Szene in das kollektive christliche Bewusstsein eingeprägt hat, zeigt das Sprichwort: “Seine Hände in Unschuld waschen.”

Die hierin enthaltene Geschichtsverzerrung stellt eine im historischen Gewand gekleidete religiöse These dar und ist eine Ursache für den christlichen Antisemitismus und letztlich auch für die Progrome der nachfolgenden Jahrhunderte. Claude Montefiore, einer der bedeutendsten Vertreter des modernen Judentums, hat diesen Dialog so kommentiert: “Dies ist eines jener Sätze, die schuldig sind an Meeren von Menschenblut, und an einem ununterbrochenen Strom von Elend und Verzweiflung.”

Und in der Tat – die Darstellung im Matthäus-Evangelium entbehrt jeder historischen Glaubwürdigkeit, was freilich nichts daran änderte, dass sich die Entlastungstendenz bezüglich Pilatus in der Kirchengeschichte unaufhaltsam fortsetzte. So erklärte der lateinische Kirchenvater Tertullian Pilatus Anfang des 3. Jahrhunderts sogar zum heimlichen Christen und die koptische Kirche verehrte ihn sogar später als Heiligen. Dem jüdischen Hohenrat und anderen jüdischen Gruppen – wie etwa den Pharisäern – wird die böse Absicht unterstellt, sie hätten Jesus aus religiösen Gründen beseitigen wollen.

Nach den sich z.T. widersprechenden Evangelien wurde Jesus in einem zweistufigen Prozess zum Tode verurteilt. So schildert das älteste Markus-Evangelium, dass Jesus am Donnerstagabend vor dem jüdischen Passahfest von einer jüdischen Polizeitruppe verhaftet und dem höchsten Selbstverwaltungsgremium Jerusalems – dem Sanhedrin, das sich im Hause des Hohepriesters versammelt hatte, vorgeführt wurde. Falsche Zeugen sollen Jesus mit dem Satz zitiert haben: “Ich will diesen Tempel, der mit Händen gemacht ist, abbrechen und in 3 Tagen einen anderen bauen, der nicht mit Händen gemacht ist.”

Da Jesus zu den Vorwürfen schweigt, verleitet ihn der Hohepriester, sich als Sohn Gottes zu offenbaren, was Grund genug ist, Jesus wegen Gotteslästerung zum Tode zu verurteilen. Der Sanhedrin liefert daraufhin Jesus am frühen Freitagmorgen an den römischen Statthalter Pilatus aus, der Jesus mit einem 2. Prozess überzieht, in dessen Verlauf das aufgebrachte jüdische Volk, einen tatsächlichen Mörder namens Barabbas freipresst und für Jesus die Kreuzigung fordert.

Nach dem Lukas-Evangelium soll Pilatus Jesus vor der endgültigen Verurteilung noch an den Landesherren Herodes Antipas überstellt haben, der ihn dann an Pilatus zurückverwies. Daher das Sprichwort – “Von Pontius nach Pilatus”.

Die Darstellung eines gewissermaßen vorgeschalteten Verfahrens gegen Jesus vor dem jüdischen Hohenrat ist schon wegen der erheblichen Widersprüche im Einzelnen innerhalb der Evangelien historisch nicht zu beweisen.

Weder der Sanhedrin noch der Hohepriester verfügte nach der damalige Rechtslage über die Kapitalgerichtsbarkeit, die in allen römischen Provinzen allein in der Hand der römischen Besatzer lag. Dem entsprechend findet sich in den zu Beginn des 2. Jahrhunderts von dem römischen Historiker Tacitus verfassten Annalen kein einziges Wort über eine Beteiligung jüdischer Instanzen am Todesurteil gegen Jesus. Lapidar wird festgehalten, dass “Christus” unter Tiberius von dessen Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet wurde.

Denkbar ist allenfalls, dass einige Denunzianten aus dem Kreis der damaligen jüdischen Oberschicht, Jesus als Unruhestifter bei Pilatus anschwärzten, der gerade vor dem jüdischen Passahfest, zu dem tausende Auswärtige nach Jerusalem strömten, besonders auf Ruhe und Ordnung bedacht war, um Rebellionen gegen Rom von vorneherein im Keim zu ersticken. Und dass die Römer in Jesus einen solchen Rebellen gesehen haben könnten, ergibt sich aus dem überlieferten Dialog zwischen Jesus und Pilatus, in dem Pilatus Jesus fragt, ob er sich als König der Juden bezeichne, worauf Jesus zweideutige geantwortet haben soll: “Du sagst es!”

Die Beanspruchung der Königswürde über die Juden in einem römischen Protektorat konnte aber aus Sicht der römischen Besatzer nur als Hochverrat und Rebellion gedeutet werden.

Für diese Deutung spricht auch die gewählte Hinrichtungsart der Kreuzigung. Jesus wurde mit zwei weiteren “Räubern” hingerichtet. Sprachforscher konnten inzwischen belegen, dass dieser Begriff ein terminus technicus für antirömische Rebellen war. Heute würde man Jesus wohl als Terroristen bezeichnen. Hierfür spricht auch, dass es historisch als erwiesen gilt, dass alle von den Römern vorgenommenen Kreuzigungen in Israel zu dieser Zeit aus politischen Gründen erfolgten.

Das brutale Vorgehen der Statthalter Judäas hängt zweifellos mit den damaligen Schwierigkeiten, ihre Herrschaft in der Provinz durchzusetzen, zusammen.

So berichtet der römische Historiker Josephus von ersten Massenkeuzigungen 4 v.Chr., bei denen 2.000 Aufständische nach vorangegangenen Unruhen auf diese Weise hingerichtet worden sein sollen. Josephus schrieb:

“Judäa war voller Räuberbanden. Und überall dort, wo sich eine Schar von Aufrührern zusammenfand, wählten sie einen König, der den Untergang der staatlichen Ordnung herbeiführen sollte. Sie fügten zwar nur wenigen Römern einen – und dazu noch unerheblichen – Schaden zu, bereiteten aber ihrem eigenen Volke ein ungeheuerliches Blutbad.”

Auch hier waren es soziale Hintergründe, die zur Aufruhr in der Bevölkerung führten – nämlich die erdrückende römische Steuerlast, die mit 30 Prozent des Jahreseinkommens vor allem zur Verarmung der ländlichen Bevölkerung führte (ich glaube, es wird Zeit für eine Rebellion in Deutschland – Anm. des Verfassers). Die bäuerlichen Familien konnten kaum ihr Existenzminimum erwirtschaften und verschuldeten sich immer weiter, bis sie auch ihr letztes Stückchen Land verloren, um die römischen Steuern bezahlen zu können. Ihre Hoffnung lag in den vielen charismatischen Wanderpredigern und Propheten, die damals durch´s Land zogen und ihren Widerstand gegen Rom – bewusst oder unbewusst – religiös begründeten.

Josephus nennt die Anführer der Terroristen Schwarmgeister und Betrüger. Mit der jüdischen Oberschicht, die sich mit den Machthabern arrangiert hatte, gab es hingegen keine Probleme. Aber Jesus und Konsorten stellte eine ernsthafte Gefahr für die römischen Interessen dar, untergruben sie doch den Grundsatz, es herrsche Ruhe im Land. Schon beim geringsten Anlass wurde daher ein Exempel statuiert, um die Bevölkerung in Schach zu halten.

Damit stellt sich formal-juristisch die abschließende Frage, ob es für die Verurteilung Jesu überhaupt eine strafrechtliche Grundlage nach dem damaligen römischen Recht gab.

Diese wurde von Historikern in der “Lex Iulia de maiestate” gesehen, die vermutlich erst unter Augustus endgültig ausformuliert wurde. Die Quellen dieses Gesetzes sind aber so unzureichend dokumentiert, dass man nicht sicher weiß, wann es überhaupt zum ersten Mal als Rechtsgrundlage angewandt wurde und welche Tatbestandsmerkmale und Sanktionen ihm zugrunde lagen. Sicher ist nur, dass es ein Gesetz gegen Staats- und Majestätsverbrechen war. Gegenüber römischen Bürgern wäre ein solches Strafverfahren in einer präzis geregelten Verfahrensweise vor einem Geschworenengericht (cognitio) durchgeführt worden.

Es ist aber schon sehr zweifelhaft, ob sich die römischen Besatzer mit nichtrömischen Rebellen eine solche Mühe gemacht hätten. Die Amtsgewalt des Pilatus als Präfekt Roms reichte für Nichtrömer nämlich völlig aus. Als militärischer Oberbefehlshaber Roms in der besetzten Provinz konnte er standrechtlich Einheimische hinrichten lassen. Deswegen trifft die Formulierung von Weddig Fricke, der das Todesurteil gegen Jesus als standrechtliche Kreuzigung bezeichnet hat.

Mit Jesus wurde kurzer “Prozess” gemacht. Zwischen seiner Festnahme und seiner Hinrichtung lagen weniger als 24 Stunden und sein Verhör bei Pilatus dürfte nur wenige Minuten gedauert haben.

Der Oberste Gerichtshof des modernen Staates Israel hat 1967 richtig entschieden, als er das Wiederaufnahmeverfahren gegen Jesus mit der Begründung abwies, dass das Verfahren im Nachfolgestaat Roms, also in Italien, durchgeführt werden müsse.

Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach

Die Informationen aus diesem Artikel stammen u.a. aus dem Aufsatz „Es herrsche Ruhe im Land“ von Wolfgang Stegemann in „Große Prozesse“, C.H. Beck, München, 3. Aufl. 2001 und „50 Klassiker Prozesse“ von Marie Sagenschneider, Gerstenberg Verlag Hildesheim 2002


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