Manchmal ist das letzte Wort des Gerichts kaum zu ertragen.

Ich scrolle betont lustlos in meiner Spiegel-App. „Noch Fragen?“, fragt die Vorsitzende. Ich schaue kurz auf und frage die Zeugin gelangweilt, ob sie von den zu ihrem Nachteil veruntreuten 40.000 € ihrer Enkelin vielleicht ein Darlehn gewährt hätte und wie viel Zinsen sie sich in diesem hypothetischen Fall versprochen hätte. Die Frage hat mit dem Fall nichts zu tun und ist völlig belanglos, aber das gilt auch für so ziemlich jede Frage der Vorsitzenden in den vergangenen drei Stunden. Die Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils sind nämlich wegen der Berufungsbeschränkung der Staatsanwaltschaft in Rechtskraft erwachsen. Es steht also fest, dass mein Mandant als Versicherungsvertreter Kundengelder veruntreut hat. Ich sitze hier völlig sinnlos seit 3 Stunden rum und werde langsam wütend darüber, wie hier in größter Ineffizienz meine Zeit gestohlen wird. Die Vorsitzende weiß, dass ich um 15 Uhr in eine Schwurgerichtssache muss und auf heißen Kohlen sitze. Hiervon völlig unbeeindruckt rollt sie dennoch die ganze Beweisaufnahme wieder auf. Verliest jeden Papierschnipsel und will von jedem Zeugen genau wissen, wie sehr der Angeklagte ihm geschadet hat.

Jetzt fragt sie den Angeklagten für welche Steuerschulden er das veruntreute Geld denn verwendet habe. „Ach, Sie wissen also nicht mehr, ob es sich um Gewerbesteuer handelte? Und wann haben Sie die Steuerbescheide bekommen? Sie wollen uns also erzählen, dass Sie plötzlich 130.000 € Steuern nachzuzahlen hatten?“

Der Mandant versucht ihr zu erklären, dass die Steuerprüfung einen Zeitraum von mehreren Jahren umfasst habe und er nach 5 Jahren jetzt nicht mehr genau wisse, was im Einzelnen moniert wurde und welche Beträge auf die einzelnen Steuerarten fielen. Irgendwann habe er den Kopf in den Sand gesteckt, und es sei auch zu Schätzbescheiden gekommen.

Die Schöffen fragen eifrig mit, und aus jeder Frage ist der eindeutige Wille herauszuhören, noch nicht entdecktes Negatives ans Licht zu befördern, um dem Angeklagten die erstinstanzliche Bewährungsstrafe zu verhageln.

Ob er denn wisse, dass man Schätzbescheide korrigieren lassen können. Warum er denn keinen Einspruch gegen die Bescheide  eingelegt habe, will der eine Schöffe nun wissen?

Ich frage zurück, ob der Schöffe beim Finanzamt beschäftigt sei, und ob er sich vorstellen könne, dass einem die Probleme so über den Kopf wachsen können, dass man nicht mehr adäquat reagiert.

Der andere Schöffe fragt den nächsten Zeugen, ob er schon ausgerechnet habe, dass die mittlerweile zur Schadenswiedergutmachung gezahlten 17.000 € noch nicht einmal den Zinsschaden deckten. Und, ob es dem Zeugen nicht merkwürdig vorgekommen sei, dass der Angeklagte ihm das Geld teilweise in bar übergeben habe. Der Zeuge nickt unsicher und schaut dabei entschuldigend rüber zu meinem Mandanten.

Ich erlaube mir die Bemerkung, dass es völlig wurscht sei, in welcher Form Geld gezahlt worden sei.

Nun fangen die drei Richter an, die Angaben des Angeklagten zu seinem neuen Beruf in Zweifel zu ziehen. „Sie behaupten also, mittlerweile Teppichböden und Laminat zu verlegen? Woher wollen Sie das denn können? Lernt man so etwas als Versicherungsvertreter? Wie viel Gewinn machen Sie denn an einem Quadratmeter? Und damit wollen Sie die Schadenswiedergutmachung hinkriegen?“

„So schlecht kann der Verdienst ja nicht sein, wenn in 5 Monaten schon 17.000 € von meinem Mandanten bezahlt worden sind“, werfe ich genervt ein.

Ich weiß, dass wir in dieser Instanz keinen Blumentopf mehr gewinnen werden und die Berufung der Staatsanwaltschaft Erfolg haben wird. Zynisch frage ich, ob das Gericht die Angaben zur Berufstätigkeit meines Mandanten unter Beweis gestellt sehen will, was verneint wird. Meine Überlegung, einen Beweisantrag zur Frage der damaligen Steuerschulden zu stellen, verwerfe ich, da ich weiß, dass die Steuerbescheide bereits in der ersten Instanz zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurden.

Endlich hört die offen und böse Befragung auf und die Staatsanwältin plädiert auf eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten.

Ich bin mittlerweile so geladen, dass ich mein Plädoyer damit einleite, dass Staatsdiener, die ihr Geld jeden Monat sicher auf ihr Konto überwiesen bekommen und die sich nicht um Steuererklärungen groß kümmern müssen, sich offenbar nur schwer vorstellen können, wie das Leben eines Freiberuflers funktioniert. Ja, dass das Finanzamt bis dato gutgehende Unternehmen platt machen könne und dass der daraus entstehende Druck für einen Betroffenen so groß werden kann, dass er tatsächlich den Kopf in den Sand steckt. Ich verweise auf die Argumentation des erstinstanzlichen Richters und darauf, dass die in dem Urteil und den Bewährungsauflagen zum Ausdruck gebrachte Hoffnung, der Angeklagte werde den Schaden ratenweise wiedergutmachen, bisher nicht enttäuscht worden sei. Ich frage die im Publikum sitzenden Geschädigten, ob sie es ähnlich sähen, wie der schlaue Schöffe und 17.000 € als Nichts betrachten würden. Dann sollten sie mir die 17.000 € nach der Verhandlung geben, ich könne sie gut gebrauchen. Im Wissen auf den Untergang versuche ich dem Gericht klar zu machen, dass der Angeklagte durch eine Inhaftierung seinen beruflichen Neuanfang vergessen könne. Alle bereits jetzt existierenden Bemühungen um einen Broterwerb seien damit dahin. Wenn er – nach dem Willen der Staatsanwaltschaft – mit knapp fünfzig aus der Haft komme, werde er kaum noch einen neuen Job finden. Damit sei letztlich auch die weitere Schadenswiedergutmachung illusorisch.

Es kommt, wie es kommen muss, und das Gericht verurteilt den Mandanten zu einer Strafe von 2 Jahren und 8 Monaten. In der Begründung heißt es, das Gericht glaube dem Angeklagten seine Steuerschulden als Motiv für die Veruntreuung nicht. Er könne ja aus dem offenen Vollzug heraus weiterarbeiten, um den Schaden wiedergutzumachen. Pikiert fügt die Vorsitzende hinzu, dass das Gericht meinen Kommentar, die Geschädigten könnten mir ja die 17.000 € geben, nicht zu Lasten des Angeklagten gewertet hätte, über meine Bemerkung könne man allerdings nur den Kopf schütteln.

Worüber das Gericht den Kopf meint schütteln zu müssen, ist mir in diesem Moment schnurz. Ich gehe zu den am Eingang wartenden Geschädigten und sage laut und deutlich, dass die Vorstellung des Gerichts, der Angeklagte könne seinen Job im offenen Vollzug behalten und weiter Schadenswiedergutmachung leisten, von schreiender Unkenntnis geleckt sei. Sie könnten sich beim Gericht dafür bedanken, dass weitere Raten nicht mehr folgen werden. Frustriert eile ich zur nächsten Verhandlung und hoffe auf die Revision. So sauer war ich selten!

Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach


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