Der arme Herr Beuter!

Eigentlich kämen wir mit drei Zimmern wunderbar aus: Küche, Schlafzimmer, Bad, würden völlig genügen – denn allabendlich sitzen wir vor dem Zubettgehen noch einige Zeit in der Küche. Auf der kleinen Bose-Box dudelt über das iPhone unsere aktuelle Lieblingsmusik – zur Zeit Roy Hargrove und Snarky Puppy. Der Küchentisch ist überladen mit Büchern, Zeitungen und Krimskrams, der erst am nächsten Tag an seinen angestammten Ort in Hand- oder Hosentaschen zurückwandert oder eben einfach bis zur nächsten Aufräumaktion liegen bleibt. Da, wo noch Platz ist, stehen Teekanne und unsere Teetassen.

Es gibt kaum etwas Langweiligeres als Juristen, die ständig über ihre Fälle reden (bloggen ist was anderes; muss ja keiner lesen/zuhören?!) und so bemühe ich mich, mein Alltagsgeschäft nicht zum Thema zu machen, was mir im Allgemeinen nicht schwer fällt. Wir reden über Gott und die Welt, Kinder, die Bücher, die wir gerade lesen oder die Musik, die wir gerade mögen. Die Gespräche verlaufen ungefähr so geordnet, wie unser Küchentisch meistens aussieht.

Vor einigen Tagen aber ertappte mich Anna in Gedanken an einen Bankraub-Prozess, in dem ich gerade verteidige.

„Hey Kjanqs (armenischer Kosename), woran denkst du gerade?“

„Mmh …, an Weicheier, und ich weiß nicht, ob ich Herrn Beuter damit nicht Unrecht tue.“

`Wer ist dieser Herr Beuter?´ fragen ihre dunklen, strahlenden Augen, die Menschen, die Anna nicht kennen, oftmals in Unsicherheit, wenn nicht Angst versetzten.

„Ach, das ist ein Bankangestellter, der das Pech hatte, in wenigen Monaten dreimal von meinem Mandanten in verschiedenen Bankfilialen überfallen worden zu sein. Heute schilderte er als Zeuge, welche Auswirkungen die Überfälle auf ihn hatten. So betroffen, wie die Schöffen dreinschauten, war das keine Sternstunde für die Verteidigung. Er kann nicht mehr mit Kunden arbeiten, Schlafstörungen, Angstattacken, wenn er z.B. mit seiner Frau beim Waldspaziergang auf Fremde trifft …, seit Monaten in therapeutischer Behandlung … Ich weiß nicht, das kam mir irgendwie übertrieben vor. Ich kann mir so ein Trauma jedenfalls nicht wirklich vorstellen, zumal der Bankräuber vergleichsweise human agiert hat. Es gab keine körperliche Gewalt, die ungeladene Pistole hatte er zwar bei seiner Forderung, den Tresor zu öffnen, sichtbar in der Hand, richtete sie aber nicht auf Herrn Beuter, sondern sicherte ausdrücklich zu, es werde nichts passieren, wenn Herr Beuter keine Dummheiten mache.“

„Schon klar, dir hätte das bestimmt nichts ausgemacht?! Beim dritten Überfall hättest du dem Räuber nach der Geldübergabe wahrscheinlich noch einen Kaffee angeboten, ein Autogramm gefordert, ihm die Tür aufgehalten und dich mit `Tschüss, bis zum nächsten Mal!´ verabschiedet.“

Ich grinse gequält. „Ich bin selbst schon mit einer scharfen Waffe bedroht worden.“

Sie legt ihre Hand auf meine: „Erzähl!“

„Das ist schon lange her. Ich war mit meiner damaligen Freundin und den Kindern Jeff und Simon in meinem rostigen, uralten und schrecklich gelben Passat auf dem Weg nach Hause. Wir fuhren gerade durch unsere Siedlung, als plötzlich ein junger Mann auf die Straße trat. Ich bremste und hielt unmittelbar vor ihm an, als er eine Knarre hob und über die Motorhaube direkt auf meinen Kopf zielte. Mit der Pistole bedeutete er mir, aus dem Wagen zu steigen, dann sah ich wieder direkt in die Mündung seiner Waffe. Ich weiß nicht mehr genau, was ich damals dachte, ich weiß nur noch, dass die Zeit plötzlich viel langsamer lief, während ich meine Chancen ausrechnete und versuchte, den Typ einzuschätzen. Ich hatte das Gefühl, er sei stark angetrunken, was ihn noch unberechenbarer machte. Die Waffe weiter auf meinen Kopf gerichtet, machte er einen Schritt zur Seite auf meine Fahrertüre zu .., und ich gab Vollgas. Er flog über meinen Kotflügel und landete glimpflich neben meinem Fahrzeug. Aus dem Seitenfenster sah ich, wie die Pistole über den Asphalt gegen den Bordstein schlitterte. Ich raste um die Ecke, hielt an der dortigen Telefonzelle (ja, es gab eine Zeit ohne Handys) und rief die Polizei. Wundersamer Weise fuhr drei Minuten später ein Streifenwagen vor. Die Beamten ließen sich kurz den Sachverhalt schildern, fuhren davon und verhafteten den Mann.“

„Oh Gott, aber war das klug von dir? Er hätte dich erschießen können!“

„Tja, im Nachhinein kann ich sagen, es war die richtige Entscheidung. Was wäre passiert, wenn ich ihm das Auto mit hysterischer Frau und zwei schreienden, kleinen Kindern überlassen hätte! Den geilen Passat hätte ich nie wieder gesehen!“

„Und? Ging es dir danach wie Herrn Beuter?“

Ich lächele sie an. „ Ich hab nach wie vor ein Trauma bezüglich hysterischen Frauen, schreienden Kindern und gelben Autos, aber ansonsten – nöh! Ich war ein paar Stunden aufgeregt, aber irgendwie hat es mich nicht sonderlich betroffen. In dem Prozess gegen den Mann habe ich später noch ein gutes Wort für ihn eingelegt… Alkohol, keine richtige Angst, so schlimm war das alles nicht, etc.“

Anna zeigt mir ihr ironisches Lächeln: „Mmh, vielleicht ist ein Bankraub doch noch etwas anderes? Immerhin geht es da um Geld und nicht nur um Frauen, Kinder und Autos?“

„Das Verrückte ist, dass die Kollegin von Herrn Beuter, die mit überfallen wurde, kein Trauma erlitt. Sie schilderte den Vorfall ganz nüchtern. Sie hätte kaum Angst gehabt und  glaubte dem Räuber, dass ihr nichts passiere, wenn sie seinen Forderungen nachkomme. Das habe sie gemacht und alles sei gewaltlos abgelaufen.“

„Vielleicht will Herr Beuter einfach ein hohes Schmerzensgeld haben und dramatisiert deshalb so? Aber das zu unterstellen, wäre wohlmöglich ungerecht. Jeder empfindet halt anders?! Oder, was denkst du?

Ich zucke mit den Achseln. „Also, vielleicht doch kein Weichei, dieser Herr Beuter, sondern einfach verdammt ausgebufft? In jedem Fall hast du Recht: Jeder empfindet halt anders!“

Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach


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