Wir sind auf der Seite der Bösen!

Vorab – Ich habe das Rauchen aufgegeben und dennoch: Wir sind auf der Seite des Bösen.

Es ist 19.30h. Wir sind alleine in der Kanzlei und sitzen gemütlich in meinem Büro. Ich rauche eine Zigarette nach der anderen und Sozius Rainer raucht mit – wohl oder übel. Aber er hält sich tapfer. Kein Wort über die Gesundheitsschäden beim Passivrauchen. Ich stecke mir noch eine an, und er verzieht keine Miene. Wir diskutieren über diesen Eduard – kurz Ed genannt, die arme Sau, die gerade durchs mediale Dorf getrieben wird und überlegen, wer denn jetzt der eigentliche Böse ist. Ich vertrete die Auffassung, dass dieser Herr Dati wahrscheinlich schon ein schräger Vogel ist. Ich meine, wer kauft schon Bilder von 14-jährigen Jungs, die in Unterhosen irgendwo in Rumänien rumplanschen? Auf der anderen Seite Caravaggio, das perverse Schwein. Und so etwas hängt im Museum. Aber weder Ed Dati noch Caravaggio haben offenbar gegen Strafgesetzte verstoßen, können also nicht wirklich böse sein, jedenfalls nicht böse genug? Nun, der Ed war´s also nicht! Und der Caravaggio ist längst tot – recht so! Vielleicht der Staatsanwalt, der Ed durch eine kleine, öffentlich gewordene Ermittlung geradezu geschächtet  hat, was ja in Deutschland verboten ist. Oder könnte man ihn wegen Verfolgung Unschuldiger drankriegen? Oder den Ermittlungsrichter, der den rechtswidrigen Durchsuchungsbeschluss ohne begründbaren Anfangsverdacht erlassen hat, wegen Rechtsbeugung. Die haben wenigsten gegen Gesetzte verstoßen? Das wäre doch mal ne Nummer!

Mittlerweile ist die Luft in meinem Büro so verqualmt, dass ich Kopfschmerzen bekomme, und obwohl Rainer immer noch munter argumentiert, strecke ich das Handtuch. Der Kerl ist anscheinend unverwüstlich. Irgendwann in nicht allzu weiter Zukunft kommt eine Studie heraus, dass Passivrauchen gesund ist. Wollen wir wetten? Durch ein unübersehbares Gähnen täusche ich Müdigkeit vor und verabschiede mich in den wohlverdienten Feierabend. Die paar Schritte zu meinem Auto werden mir gut tun, sage ich. Er schaut mich durch den Nebel an, und sein Blick sagt: Schade, gerade wo es spannend wird und wir auf der Spur der Bösen sind, haust du ab! Ich zucke entschuldigend die Schultern und höre noch, wie er mir freundschaftlich das Wort „Verräter“ nachruft, dann schließt sich die Bürotür, und ich trete hinaus in die kalte Abendluft.

Kurz vor der Autobahnauffahrt schalte ich das Radio ein. WDR 2 – eine Talkrunde mit zugeschalten Hörern. Und wieder geht es um Ed und den sexuellen Missbrauch an Kindern. Ich frage mich, warum alle Medien und das Volk so geil auf Kinder sind, korrigiere den Gedanken in „warum sind alle so geil auf das Thema sexueller Missbrauch von Kindern“, und spüre plötzlich einsetzend einen stechenden Schmerz im vorderen Frontallappen meines Hirns, da wo das freudsche „Überich“ sitzen soll, das böse Gewissen, das aufgesprungen ist und wie ein Embryo im Mutterleib um sich tritt und schrill gegen das Wortpaar „geil“ und „Kinder“ anschreit. Ich korrigiere meine geistige Wortwahl und frage mich, „warum sind alle, die sich bei nicht sexualbezogenen, himmelschreienden Ungerechtigkeiten gegen Kinder desinteressiert zeigen, so fasziniert von diesem Thema? Gibt es da eine interessante Spur zu einem undefinierten, gesellschaftlichen Bösen?

Ich höre weiter zu, wie die Hörer, einer nach dem anderen, sich empören über diesen Ed. Sie spekulieren und fantasieren: Also, selbst wenn er sich nicht strafbar gemacht hat, könnte es doch sein, dass er darüber nachgedacht hat, sich strafbar zu machen. Und wer darüber nachdenkt, den könnte man doch präventiv bestrafen. Man hätte etwas finden können auf einer vielleicht versteckten Festplatte, und dass es egal sei, ob er sich schon oder erst später strafbar gemacht hat bzw. hätte. Dass die Gesetze verschärft werden müssen, damit er sich strafbar machen würde, egal was er getan oder gedacht hat. Schließlich gehe es um die Würde der badenden Kinder und da gibt´s nichts zu denken und rumzulamentieren. Wer solche Bilder kauft, unterstützt den Markt und fördert die sexuelle Ausbeutung.

Ein Rechtsexperte der Freien Deutschen Populisten kommt zu Wort, ein gewisser Herr Icki. Und der Mann hat Recht! Nicht die Gesetzte müssen verschärft werden – sie müssen nur von den weicheiigen Richtern richtig ausgefüllt werden. §184 b, Abs. 3 StGB: Bis zu 10 Jahren! Und man müsse darüber nachdenken, dass auch nicht strafbare Bilder von Kindern unter Strafe gestellt werden müssen, z.B. wegen der Verletzung ihres Rechts am eigenen Bild. Der Kub hat eindeutig den Nagel auf den Kopf getroffen. Das finde ich richtig! Nicht immer Gesetzte verschärfen, sondern neue Gesetzte dazubasteln. Auf der anderen Seite, was ist dann mit diesen Eltern, die ihre Kinder für Modeshows casten lassen? Mmh? Und was wäre dann mit diesen Talentshows, wo der Dieter auch die Kleinen vor der Kamera auftreten lässt wie kleine Tanzbären? Müsste der Bohlen dann auch bestraft werden? Ein charmanter Gedanke. Der gehört sowieso wegen akustischer Grausamkeit schon lange weggesperrt. Am besten zusammen mit dem Anders in eine Zelle. Cherry, Cherry … Verdammt, jetzt hab ich mir den Ohrwurm gefangen. Der Gedanke „Wegsperren für immer!“ leuchtet plötzlich auf und erlöst mich von dem Schmerz.

Aber halt, wir sind doch auf der Seite der Bösen, verdammt! Dann müssten wir doch gerade den Bohlen verteidigen? Nee, lass mal stecken. Prinzipien sind dafür da, gebrochen zu werden. Wir stehen auf der Seite der Ein- und Regelbrecher! Der Bohlen bleibt drin. Basta!

Zuhause angekommen überlege ich, dass mir ein wenig Sport guttun könnte. Wo waren noch gleich die Sportklamotten? Ich durchwühle den Kleiderschrank und siehe da: Ganz oben in der hintersten Ecke finde ich die alte, ausgebeulte Jogginghose und …. drei nagelneue, noch in Folie eingeschweißte T-Shirts. Volltreffer! Ich steige vom Stuhl herunter und wende die knisternde Verpackung in meinen Händen. Das Etikett ist kaum noch zu lesen, aber mit einiger Mühe erkenne ich, dass es von der Firma Kik (?) nee, von Schik (?) ist und schon ein €-Preisschild trägt. Drei T-Shirts für 5 €. Heute würden die bestimmt schon 6 € kosten. Ich reiße die Verpackung auf und schnuppere an den Shirts. Wahrscheinlich Einbildung, aber riechen die nicht irgendwie nach … (?) … Kinderschweiß? Ganz eindeutig! Die riechen nach Kinderschweiß. Ich sehe förmlich die kleinen Kinderhände, die die Shirts bei 40 Grad in einer dunklen Fabrikhalle irgendwo in Bangladesch während eines 12-Stunden Arbeitstages eintüten. Und da schimmert plötzlich doch meine gute Seite durch. Das Gute durchströmt mich förmlich, und ich bin plötzlich Stolz mit dem Kauf der Shirts, die Würde und das Familieneinkommen der armen Kinder da hinten unterstützt zu haben. Ich streife das Shirt über, betrachte meinen Astralkörper im Spiegel und denke: Leute, seht her. Nicht immer nur am Stammtisch über die sexuelle Ausbeutung und den würdelosen Umgang mit den armen Kleinen herziehen. Tut Gutes! Kauft bei Schik!

Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach




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